Auf seiner Jahrestagung 2015 brachte der Dachverband Gemeindepsychiatrie am 9. und 10. September in Bremen unter dem Motto „Gemeindepsychiatrie gestaltet Zukunft – Zukunftsentwürfe im Netzwerk“ erstmals Vertreter unterschiedlichster Verbände zusammen, um über die Herausforderungen der sich wandelnden psychiatrischen und psychosozialen Versorgung und vor allen die Chancen personenorientierter und sektorenübergreifender Netzwerkarbeit zu diskutieren.
Unter dem Titel „Gemeindepsychiatrie gestaltet Zukunft!“ traf sich der Dachverband Gemeindepsychiatrie e.V. auf seiner Jahrestagung mit seinen Mitgliedern und Kooperationspartnern am 9. und 10. September 2015 im Konsul-Hackfeld-Haus in Bremen, um einen Zukunftsentwurf für die psychiatrische und psychosoziale Versorgung aus verschiedenen Perspektiven zu formulieren. 40 Jahre nach Verabschiedung der Psychiatrie-Enquete in Deutschland kamen damit erstmalig nahezu alle Leistungserbringer und die Selbsthilfe an einem Tisch zusammen, um ihre Visionen und Forderungen auszutauschen und mit der Basis zu diskutieren. Zu den Partnern des Dachverbands gehören der Bundesverband der Angehörigen psychisch Kranker (BApK), dem Bundesverband der Berufsbetreuer/innen (BdB), der Bundesverband der Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie e.V. (bkjpp), der Bundesverband der Psychiatrieerfahrenen e.V. (BPE), die Bundespsychotherapeutenkammer (BptK), der Landesverband der Bürgerhilfe in der Psychiatrie Bayern e.V. (Bpsy) und die Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (DGPPN), deren Spitzenvertreter sich zum ersten Mal auf einer Veranstaltung gemeinsam trafen und ins Gespräch kamen.
Die Herausforderungen sind groß: Steigende Zahlen von psychischen Erkrankungen, Leistungsverdichtung im Hilfesystem, begrenzte Ressourcen und komplexe Lebenswelten der Klienten und Patienten machen die bessere Verzahnung der Versorgungsstrukturen notwendig. Vernetzung wird zum Schlüssel einer erfolgreichen personenzentrierten und lebensweltorientierten Behandlung, die den Menschen in den Mittelpunkt stellt. Wolfgang Faulbaum-Decke in der Abschlussrunde des lebhaften Forums zur Zukunft der (Gemeinde-) Psychiatrie treffend zusammen: „Altlasten müssen entsorgt werden, Brücken gebaut und neue Wege bereitet werden, damit ein neues, besseres Hilfesystem entstehen kann. Es gibt jetzt viele Chancen und ein Anfang ist auf dieser Tagung gemacht!“
Moderiert wurde die Tagung mit ihren lebhaften und spannenden Diskussionen vom WDR5-Hörfunk-Journalist Ralph Erdenberger aus Köln.
Als Grundlage der Diskussionen - insbesondere im Forum 1 und 2 - dienten die im Vorfeld der Tagung entwickelten Positionspapiere der jeweiligen Verbänden, in denen sie ihre Zukunftsvorstellung für eine netzwerkorientierte (gemeinde-) psychiatrische Versorung formulierten.
Thesen der Verbände [herunterladen]
„Eine sektorenübergreifende, teambasierte, flexible Netzwerkarbeit kann die immer noch starren Säulen von stationär und ambulant sowie von Behandlung, Rehabilitation und psychosozialer Versorgung überwinden. Wir alle gestalten den Raum in gemeinsamer Wertschätzung für die Menschen, die unsere Hilfe suchen“, so die Vision von Wolfgang Faulbaum-Decke, Vorsitzender des Dachverbands Gemeindepsychiatrie, der den Tag gemeinsam mit Bremens Gesundheitssenatorin Eva Quante-Brandt eröffnete.
Dr. Iris Hauth, Präsidentin der Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (DGPPN), die für die Fachärzteschaft auf dieser Tagung sprach, stellte fest: „Seit der Psychiatrie-Enquete ist viel passiert, aber dennoch müssen wir über Fraktionsgrenzen hinweg, koordiniert und kooperativ nach zukunftsfähigen Lösungen suchen. Die Zeit ist reif, für ein strukturiertes gemeinsames Vorgehen, das die Qualität in der Betreuung in den Vordergrund stellt.“ Eine weitere These der DGPPN ist die Förderung von multiprofessionellen teambasierten gemeindepsychiatrisch tätigen Teams als Kernbestandteil der psychiatrischen Versorgung und als wesentliche Voraussetzung für die Gewährleistung der Teilhabechancen seelisch behinderter Menschen.
Für die seinen Berufsstand formulierte Dr. Dietrich Munz, Präsident der Bundespsychotherapeutenkammer, die Zukunftsperspektive so: „Ärzte, Psychotherapeuten, Soziotherapeuten und psychiatrische Krankenpflegeberufe müssen im Versorgungssystem enger zusammen arbeiten. Dafür müssen die Schnittstellen definiert und verbindliche Kooperationstrukturen gefunden werden. Die Integration der Psychotherapeuten durch kliniknahe Ausbildung in einem breiten Diagnosespektrum sind dafür ein wichtiger nächster Schritt.“ Eine angemessene Vergütung, Transparenz und Vernetzung untereinander sind für ihn die wesentlichen Erfolgskriterien für einen nächsten Schritt zu multiprofessionellen Teams.
Dr. Gundolf Berg, Vorsitzender des Bkjpp, kam zu dem Schluss, Vernetzung und gemeinsame Therapieplanung nur dann weiterentwickelt werden kann, wenn diese Arbeit von den unterschiedlichen SGB-Bereichen auch als therapeutisch wichtige Arbeit begriffen und entsprechend finanziert wird. Es gelte, die zahlreiche Angebote zur Diagnostik, Beratung und Therapie zusammenzuführen, um für den kranken Menschen das bestpassende Angebot machen zu können.
Ralph Erdenberger Journalist, Köln
Die ambulante gemeindenahe Versorgung, Inklusion, die Erfüllung der UN-Behindertenrechtskonvention und nicht zuletzt auch die Öffnung für bürgerschaftliches Engagement im Versorgungssystem sind für Gerd Schulze, Vorsitzender von Bürgerhilfe in der Psychiatrie Bayern e.V., maßgebliche Ziele für eine integrative Behandlung, die Stigmatisierung verhindert. „Genesung findet zu Hause statt“, lautet seine Schlussfolgerung.
Ähnlich sieht es auch Ruth Fricke, Vorstand des Bundesverbands Psychiatrie-Erfahrener e.V.: „Mehr Zeit für die Patienten, Menschen in ihren Krisen ernst nehmen, eine Vertrauensbasis schaffen und das Selbstbestimmungsrecht achten“, sind für sie die Eckpunkte, damit Menschen mit psychischen Erkrankungen gut behandelt und auch wirklich in der Zivilgesellschaft ankommen. „Subkulturen müssen abgebaut werden. „Die Stigmatisierung führt in die Selbstisolation und verschlechtert den Krankheitsverlauf maßgeblich,“ warnt sie in Ihrem Plädoyer.
Christian Zechert, Mitglied im Vorstand des Bundesverbands der Angehörigen psychisch Kranker e.V. macht sich für den Trialog stark: „Die Einbindung der Angehörigen in das gesamte Versorgungsnetzwerk ist wesentlicher Bestandteil und wird noch nicht ausreichend umgesetzt. Er wünschte sich eine stärkere Zusammenarbeit mit anderen gemeindepsychiatrischen Trägern und Verbänden und betrachtete die Tagung als wichtigen Schritt in diese Richtung.
Im Anschluss folgten weitere Fachbeiträge aus der Gesundheits-, Sozial- und Versorgungsforschung, die den aktuellen Forschungsstand zu Grundlagen und Wirkung der Netzwerkarbeit präsentierten.
Prof. Dr. Steffi G. Riedel-Heller, Institut für Sozialmedizin, Arbeitsmedizin und Public Health, Universität Leipzig
Constanze Stegbauer, AQUA-Institut GmbH, Göttingen
Katrin Herder, Psychosozialer Trägerverein Solingen / Mitarbeiterin Projekt IVPower, Universität Ulm
Dr. Harry Fuchs,Rehabilitationswissenschaftler, Düsseldorf
Nils Greve und Wolfgang Faulbaum-Decke als Mitglieder des Think Tanks des Dachverbands Gemeindepsychiatrie e.V.
(Foto v.l.)
Moderation: Ralph Erdenberger, Journalist, Köln
Wolfgang Faulbaum-Decke, Vorsitzender Dachverband Gemeindepsychiatrie e.V., Köln
Dr. Iris Hauth, Präsidentin Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde, Berlin
Dr. Gundolf Berg, Vorsitzender Berufsverband für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie in Deutschland e. V., Mainz
Dr. Dietrich Munz, Präsident Bundespsychotherapeutenkammer, Berlin
Nils Greve, Vorstand Dachverband Gemeindepsychiatrie e.V. / Bundesarbeitsgemeinschaft Integrierte Versorgung, Köln
Rainer Sobota, Vorstand Bundesverband der Berufsbetreuer/innen e. V., Kiel
Gerd Schulze, Vorsitzender Landesverband der Bürgerhilfe in Bayern e.V., München
(Foto v.l.)
Dr. Thomas Floeth, NiG Pinel gGmbH, Berlin
Prof. Dr. Steffi Riedel-Heller, Institut für Sozialmedizin, Arbeitsmedizin und Public Health, Universität Leipzig
Constanze Stegbauer, AQUA-Institut GmbH, Göttingen
Moderation: Ralph Erdenberger, Journalist, Köln
Mirko Olostiak, Vorstand Bundesverband der Psychiatrie-Erfahrenen e.V.
Dr. Tina Wessels, Bundespsychotherapeutenkammer, Berlin
Dr. Thomas Floeth, Geschäftsführer NiG Pinel gGmbH, Berlin
(Foto v.l.)
Liane Junge, Verbundmanagerin Dithmarschen, Brücke SH [Präsentation herunterladen]
Erika Schulz, Mitglied Geschäftsleitung Brücke SH
Daniela Erdmann, Fachdienstleitung Eingliederungshilfe Dithmarschen [Präsentation herunterladen]
Dr. Thomas Birker, Chefarzt Psychiatrie WKK Heide / Dithmarschen [Präsentation herunterladen]
Moderation: Wolfgang Faulbaum-Decke, Geschäftsführer Brücke SH, Kiel (nicht auf dem Foto)
Marius Greuel, Geschäftsführer NiG Pinel gGmbH, Berlin
Paul Bomke, Geschäftsführer Pfalzklinikum für Psychiatrie und Neurologie, Klingenmünster
Birgit Fuchs, Einrichtungsleiterin Betreuen-Fördern-Wohnen, Pfalzklinikum, Klingenmünster
Dr. Harry Fuchs, Rehabilitationswissenschaftler, Düsseldorf
Moderation: Peter Baumotte, Coach, Schwerin
Nils Greve, Geschäftsführer Psychosozialer Trägerverein Solingen e.V.
Jörg Utschakowski, Projektkoordinator F.O.K.U.S., Initiative zur sozialen Rehabilitation e.V., Bremen
Dr. Norbert Mönter, Geschäftsführer PIBB Psychiatrische Initiative Berlin/Brandenburg
Helmut Thiede, Geschäftsführer Gesellschaft für Ambulante Psychiatrische Dienste GmbH, Bremen