Die sechste interdisziplinäre Tagung zu Hilfen für Kinder mit psychisch erkrankten Eltern fand mit 130 Teilnehmern vom 25. – 26. Juni 2015 im Stephansstift, Hannover statt. Kooperationspartner des Dachverbands war der Berufsverband für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie in Deutschland e.V. (BKJPP)
Die Notwendigkeit vernetzte und auf das Familiensystem bezogene Hilfen für Familien mit einem psychisch erkrankten Elternteil anzubieten, ist in den Bereichen von Jugendhilfe, Gemeindepsychiatrie, Psychotherapie und Kinder- und Jugendpsychiatrie unumstritten. Viele Projekte und Initiativen sind in den letzten Jahren entstanden und einige Forschungsinitiativen können inzwischen Ergebnisse zur Wirksamkeit präventiver und resilienzfördernder Hilfen für Familien in dieser besonderen Belastungssituation belegen. Auch in der breiten Öffentlichkeit wird die engagierte und kontinuierliche Arbeit regionaler Netzwerke für Kinder psychisch erkrankter Eltern zunehmend wahrgenommen.
Jedoch scheitert der breite und verbindliche Ausbau der Hilfen für Familien bislang an den starren Grenzen der zugrunde liegenden Sozialgesetzbücher und Problemen bei der Finanzierung. Um diesen Missstand zu beseitigen, wurde durch den Dachverband Gemeindepsychiatrie, den Bundesverband für Erziehungshilfe AFET sowie die Katholische Hochschule Paderborn eine breite Verbändeinitiative auf Bundesebene initiiert, um einen Antrag auf Einrichtung einer Sachverständigenkommission zur Gestaltung der fachlich notwendigen Komplexleistungen an den Familien- und Gesundheitsausschuss des Bundestages zu stellen. Inzwischen gab es dort erste Beratungen. [mehr Informationen zur Verbändeinitiative finden Sie hier]
Um den Prozess weiter zu befördern und die Gemeindepsychiatrie mit der Jugendhilfe weiter zu vernetzen und die politische Initiative zu stützen, veranstaltete der Dachverband Gemeindepsychiatrie am 25. und 26. Juni im Stephansstift Hannover die mittlerweile sechste Tagung aus der Reihe "Kleine HeldInnen in Not". Kooperationspartner war der Berufsverband für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie in Deutschland e.V. (BKJPP). Eine Verbreiterung der politischen Initiativen war ein zentrales Thema. Die wissenschaftlichen Beiträge zur Förderung von Komplexleistungen hatten den Fokus "Schnittstellengestaltung" und "Netzwerkarbeit". Weitere Vorträge thematisierten kultursensible Arbeit, Kooperation und die Betroffenensicht. Daneben fanden Workshops zu aktuellen Good-Practice-Modellen statt.
Der erste Tagungstag schloss mit einer eindrucksvollen Lesung von Dr. Christian Kloß zu seinen Erfahrungen aus einem (noch) unveröffentlichten Manuskript.
Im Folgenden finden Sie die Dokumentation der Vorträge, Workshops und Diskussionsforen sowie die entsprechenden Präsentationen und Arbeitsergebnisse als Download.
Petra Godel-Ehrhardt, Vorstandsmitglied des Dachverband Gemeindepsychiatrie begrüßte die Teilnehmer und warb in ihrem Statement für den weiteren gemeinsamen Einsatz von Verbänden und Organisationen zur Schaffung von lebensweltorientierten Komplexleistungen.
Dr. Gundolf Berg, Vorsitzender des Berufsverbandes für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie (BKJPP), Mainz betonte das hohe Interesse der niedergelassenen Kinder- und Jugendpsychiater in regionalen Netzwerken mitzuarbeiten. Dr. Berg stellte in seinem Grußwort fest, dass der Zugang zu Angeboten für behandlungsbedürftige Kinder und Jugendliche noch stärker als bisher niedrigschwellig und ambulant möglich sein muss. Auf die kürzlich gemeinsam mit dem Dachverband Gemeindepsychiatrie herausgegebenen Infoblätter für Jugendliche, Eltern und Pädagogen zu den Hilfemöglichkeiten der Kinder- und Jugendpsychiater wies er gesondert hin.
Peter Lehndorfer, stellvertretender Vorsitzender Bundespsychotherapeutenkammer, Berlin, stellte in seinem Grußwort die Hilfen der niedergelassenen Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten vor. Im Zukunftsentwurf der BPtK ist die Bildung von multiprofessionellen Behandlerteams im Sozialraum unter Beteiligung der Psychotherapeutenschaft ein erklärtes Ziel. Hauptproblem bei den psychotherapeutischen Hilfen für Kinder und Jugendliche ist weiterhin die sehr lange Wartezeit auf einen Therapieplatz.
Dr. Mike Seckinger, Dipl.-Psych. Leiter der Fachgruppe Strukturen der Kinder- und Jugendhilfe, Deutsches Jugendinstitut, München, vertrat den Bereich der Jugendhilfe und sprach in seinem Grußwort humorvoll nicht von der "Multiproblemfamilie" sondern von der "Multiinstitutionsfamilie", die niedrigschwellige, unterstützende Hilfen aus unterschiedlichen Systemen benötigt.
Jutta Decarli, Geschäftsführerin des Bundesverband für Erziehungshilfe AFET, war leider kurzfristig verhindert. Ihr Grußwort finden Sie [hier]
Die Vorträge des ersten Tages und die Fachforen wurden moderiert von Birgit Görres, Geschäftsführerin des Dachverband Gemeinepsychiatrie, Köln. Thomas Pirsig, Referent des Dachverbands, moderierte die Vorträge des zweiten Veranstaltungstages.
Prof. Dr. Albert Lenz, Katholische Hochschule (KatHo) Nordrhein-Westfalen, Paderborn
Prof. Dr. Silke Wiegand-Grefe, Medical School Hamburg
Prof. Dr. phil. Jörg Maywald, Die Deutsche Liga für das Kind, Berlin
Dr. Christian Kloß, Berlin
Dr. Ahmet Kimil, Dipl.-Psychologe, Ethno-Medizinisches Zentrum e.V., Hannover
Katrin Herder, Psychosozialer Trägerverein, Solingen
Mechthild Paul, Nationales Zentrum Frühe Hilfen, Köln
Birgit Görres, Geschäftsführerin Dachverband Gemeindepsychiatrie e.V., Köln
Peter Baumotte, Coach, Schwerin
mbb-schwerin.de
Katrin Herder, Projekt KIPS – Psychosozialer Trägerverein, Solingen
Grit Reschnar, Psychosozialer Trägerverein Sachsen, Dresden
Prof. Dr. phil. Jörg Maywald, Die Deutsche Liga für das Kind, Berlin
Dr. Ahmet Kimil, Dipl.-Psychologe, Ethno-Medizinisches Zentrum e.V., Hannover
[zur Präsentation]
[zur Studie "Sozialpsychiatrische Versorgungssituation von Migrantinnen und Migranten"]
Christine Franke, Arkade e.V., Ravensburg
Dr. Sabine Domin, Evangelisches Krankenhaus Alsterdorf gemeinnützige GmbH, Hamburg
Annekatrin Thies, Werner Otto Institut und Evangelisches Krankenhaus Alsterdorf, Hamburg
Peter De-Mary, AOK Rheinland, Düsseldorf
Im Rahmen des Fachforums, das durch Vorstandsvertreter der unterstützenden Verbände gestaltet wurde, wurde unter drei Aspekten die Verbändeinitiative [mehr dazu hier] vorgestellt und diskutiert.
Die Verbandsvertreter stellten die Sichtweisen Ihres Verbandes zur "Förderung lebensweltorientierter Komplexleistungen" vor. Einigkeit bestand darin, dass es für die "Multiinstitutionsfamilien" mit einem komplexen Hilfebedarf und einer Finanzierung aus unterschiedlichen Sozialgesetzbüchern eine Person, einen "Kümmerer", geben müsste. Dabei sollten die Hilfen flächendeckend vorhanden, regional organisiert und niedrigschwellig an den alltäglichen Bedarfen betroffener Familien ausgerichtet sein. Aus den verbandsinternen Diskussionen und Projektansätzen fand besonders die Idee der Formulierung einer familienbezogenen Präambel zu den verschiedenen Behandlungsleitlinien psychischer Erkrankungen sowie die Verankerung von Kooperationsverpflichtungen im SGB V einen starken Widerhall bei den Diskutanten. Auch die notwendige politische Verankerung des Themas sowohl in den Verbänden, als auch in bundes- und Länderpolitik war ein wichtiges Thema des Fachforums. Dabei spielen konkrete Kontakte von Organisationen die Hilfen für Kinder psychisch erkrankter Eltern anbieten, zu Politikern zukünftig mehr denn je eine wichtige Rolle.
Der Familienausschuss des deutschen Bundestages hat sich in einer Expertenanhörung mit dem Thema – allerdings ohne Beteiligung von Experten aus dem Gesundheitswesen – beschäftigt. Der Gesundheitsausschuss hat das Thema bislang nur auf der Berichterstatterebene zur Kenntnis genommen.
Dr. Gundolf Berg, Vorsitzender Berufsverband für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie, Mainz
Peter Lehndorfer, stellvertretender Vorsitzender Bundespsychotherapeutenkamme, Berlin
Kay Herklotz, Geschäftsführer Psychosozialer Trägerverein Sachsen, Dresden
Dr. Mike Seckinger, Dipl.-Psych. Leiter der Fachgruppe Strukturen der Kinder- und Jugendhilfe, Deutsches Jugendinstitut, München
Prof. Dr. Albert Lenz, Katholische Hochschule (KatHo), Paderborn
Birgit Görres, Geschäftsführerin Dachverband Gemeindepsychiatrie e.V., Köln
Im Forum 2, das spontan für die Jugendhilfe/BAG Kipe durch Andreas Schrappe verstärkt wurde, standen die Aspekte der Bedarfsermittlung und der Refinanzierung bedarfsgerechter Hilfen, die Möglichkeiten der bundesweiten Vorstellung von Good-Practice-Modellen, die Anforderungen an interdisziplinäre Netzwerke sowie die Gestaltung regionaler Lobbyarbeit im Fokus der Diskussion.
Der Bedarf an lebensweltorientierten Hilfen durch bürgerschaftlich engagierte "Paten" für Kinder aus belasteten Familien wurde von allen Verbandsvertretern betont. Dabei ist bei der Realisierung von Komplexleistungen den unterschiedlichen Bedarfe betroffener Familien Rechnung zu tragen. Die hohe Fachlichkei,t die von Professionellen unterschiedlicher Verortung benötigt wird, sowie die Notwendigkeit Hilfen im Netzwerk anzubieten, macht den Aufbau von regionalen Kompetenzzentren u. a. durch regionale gemeinsame Schulungen notwendig. Auf der Struktur- und Finanzierungsebene sind nicht nur die "Andockstellen" der Hilfen in den einzelnen Sozialgesetzbücher zu klären und zu kommunizieren, sondern auch die Formalien der Hilfeplanverfahren, Netzwerkverpflichtungen und Qualitätsstandards künftig in den Blick der Diskussion zu nehmen.
Birgit Görres, Geschäftsführerin Dachverband Gemeindepsychiatrie e.V., Köln
Andreas Schrappe, Leiter Ev. Beratungszentrum, stellv. Geschäftsführer Diakonie, Würzburg
Dr. Gundolf Berg, Vorsitzender Berufsverband für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie, Mainz
Peter Lehndorfer, stellvertretender Vorsitzender Bundespsychotherapeutenkammer, Berlin
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