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"Geschichten schreiben – Meine persönliche Umsetzung von Inklusion"

Im Herbst 2014 erhielten wir beim PIELAV-Projekt eine E-Mail von Sebastian Domke. Darin berichtete der 36-Jährige aus Siegen auf der einen Seite von der krankheitsbedingten Situation, die ihn mal mehr, mal weniger belastet. Gleichzeitig erzählte er aber auch davon, wie ihm das Schreiben von Kurzgeschichten und das Lesen vor einem interessierten Publikum dabei half, seine innere Mitte zu finden.

Es war folgender Satz in seiner E-Mail, der uns berührte: „Warum ich Ihnen all das schreibe? Genau das, was ich tue, ist meine persönliche Interpretation der Inklusion. Kunst kann die Schranken zwischen psychisch erkrankten Menschen und der Gesamtgesellschaft überwinden. Egal ob Literatur, Musik oder Malerei – diese kreativen Bereiche bieten die Möglichkeit, Barrieren zwischen den Menschen abzubauen, miteinander ins Gespräch zu kommen und Anerkennung für das zu erfahren, was man schafft.“

Auch wenn Sebastian Domke bereits zuvor Artikel für eine Zeitschrift verfasst und generell eine Begeisterung für das Schreiben hatte, so war es doch erst im Jahr 2014, als er mit viel Freude und Engagement begann, seine Ideen in Form von Kurzgeschichten zu entwickeln. Diese Geschichten sind spannend und unkonventionell erzählt. Sie nehmen oft Wendungen, die der Leser nicht erwartet und seine Neugier wecken. Ein Kunstaussteller besucht in seiner Geschichte „Das Kunstwerk“ eine Universität, um unter Bildern talentierter Studenten Kunstwerke für eine Vernissage auszuwählen. Im ersten Moment ist er von den aufgereihten Bildern enttäuscht, aber dann fällt ihm ein bisher unbemerktes Bild auf, das ihn gefühlsmäßig überwältigt. In „Der letzte Abschied“ entgeht der Werbekaufmann Daniel nur knapp dem Zusammenstoß mit einem LKW und landet mit seinem PKW im Straßengraben. Als er sich die Gegend anschaut, findet er eine Schrebergartensiedlung. Dort kommt es zu einer Begegnung, die sein Leben völlig verändern wird. In den bildhaften Beschreibungen Domkes geht es um das innere Erleben der Protagonisten –  um ihre Hoffnungen, Ängste und die Beziehungen zu ihren Mitmenschen. „Wenn ich schreibe, tue ich das mit völliger Hingabe – und lerne dabei, mich selbst besser zu verstehen. Mir verschafft es außerdem viel Freude, Menschen mit meinen Geschichten zu berühren.“ Mittlerweile vertreibt Domke seine Kurzgeschichten auch regional und bei einem großen Internet-Händlern und gewinnt so viele neue Leser.

Durch den Prozess des Schreibens, die Lesungen vor Menschen und ihre Reaktionen auf seine Geschichten erfährt Sebastian Domke etwas, was ihm wie vielen Psychiatrie-Erfahrenen fehlte, die nicht mehr am Arbeitsleben teilnehmen und gesellschaftlich ausgegrenzt sind: Die Anerkennung für das, was man leistet und wofür man als Person steht. „Auch wenn ich nicht tagtäglich im Büro sitze und einen normalen Beruf ausübe, gehe ich in meiner Tätigkeit als Schriftsteller auf, finde auf diesem Weg viel über mich heraus – und habe die Chance, interessierten Lesern mit meinen Geschichten Unterhaltung und Stoff zum Nachdenken zu liefern. Durch das Schreiben und die entstehenden Rückmeldungen erfahre ich die gesellschaftliche Akzeptanz und Anerkennung, die sonst gesunde Menschen erleben, wenn sie arbeiten gehen und für ihre Arbeit Wertschätzung erfahren.“

Neben seiner kreativen Beschäftigung des Schreibens besucht Domke eine Tagesstätte, um die für seine Erkrankung wichtige Struktur zu erfahren. Dort gründete er zusammen mit anderen seelisch Erkrankten 2013 eine Selbsthilfegruppe, die er bis heute moderiert. „Bei vielen psychisch Erkrankten erlebe ich sehr großes kreatives Potential“, berichtet uns Domke. Er will anderen Betroffenen Mut machen, die eigenen Ressourcen zu erkennen und auszubauen. „Selbständige oder freiberufliche Tätigkeiten können für psychisch Kranke ein idealer Weg sein, ihr kreatives Potential auszuschöpfen. Ich persönlich empfinde dies eher als Verwirklichung meiner Fähigkeiten, als in einer Behindertenwerkstatt zu arbeiten.“, sagt er.

Durch den Kontakt mit Sebastian Domke haben wir etwas Wichtiges für unser Projekt gelernt: Selbsthilfe kann sehr kreative und künstlerische Formen annehmen und auf diese Weise viel zur Inklusion beitragen.

Sebastian Domke wurde 1978 in Herten geboren und lebt mit seiner Frau in Siegen. Nach Ausbildung und Studium erkrankte er an einer Psychose. 2013 gründete er eine Selbsthilfegruppe für psychische Kranke, 2014 begann er mit dem Schreiben von Kurzgeschichten. Er arbeitet derzeit an seinem ersten Roman. Seine Werke finden Sie im Internet unter www.tintenkuenstler.de.

Dieser Artikel ist in PIELAV-Broschüre "Inklusion selbst in die Hand nehmen - Selbsthilfe für und mit Menschen mit psychischen Erkrankungen und die Chancen für mehr Teilhabe" erschienen.