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Jahrestagung 2022 | Dokumentation

„Gut gemeint und gut gemacht?“ Die Umsetzung des BTHG in der Gemeindepsychiatrie

3. und 4. November 2022 | Kolpinghaus München

Das Bundesteilhabegesetz (BTHG) beschäftigt seit seiner Verabschiedung 2016 alle Akteure der Eingliederungshilfe maßgeblich, bedeutet es doch einen tiefgreifendenden Systemwechsel hin zu mehr Personen- und Sozialraumzentrierung. Mit dem Gesetz wurden rechtlich mehr Möglichkeiten der Teilhabe und mehr Selbstbestimmung für Menschen mit Behinderungen geschaffen. Soweit die Theorie – doch wie sieht die Realität für Nutzende, Angehörige und Träger aus?

Die diesjährige Tagung des Dachverbands Gemeindepsychiatrie beleuchtete Anspruch und Wirklichkeit der gemeindepsychiatrischer Versorgungslandschaft aus Sicht von Akteuren aus Politik, Wohlfahrtspflege, Trägern und denen, für die dieses Gesetz gemacht wurde: den Menschen mit psychischen Erkrankungen und ihre Angehörigen.

Mehr als 120 Teilnehmende waren am 3. und 4. November 2022 ins Kolpinghaus München gekommen. In Vorträgen, Workshops und Diskussionsforen wurden Best-Practice-Beispiele gemeindepsychiatrischer Arbeit vorgestellt und Lösungsansätze für eine erfolgreiche BTHG-Umsetzung im Sinne von Leistungsberechtigten und Leistungserbringern diskutiert.

»Gut gemeint und gut gemacht?«

Einig waren sich alle Beteiligten: Die teilhabebezogenen Ziele des BTHG seien sinnvoll und notwendig. »Ziel ist die Verbesserung von Lebensqualität und sozialer Teilhabe von Menschen mit psychischen Beeinträchtigungen durch zeitnahe und unkomplizierte Hilfen durch vernetzte und auskömmlich finanzierte Anbieter der Gemeindepsychiatrie«, erklärt Claudia Seydholdt, Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft Gemeindepsychiatrie Rheinland und Mitglied im Vorstand des Dachverbands. Das Kernproblem sieht sie in der durch die Politik versuchte Quadratur des Kreises: Das BTHG soll zugleich die Teilhabe verbessern und gleichzeitig die Kostendynamik im Sozialsystem dämpfen.

Die Schwächen des Gesetzes und seiner Umsetzung: Noch immer fehlten in vielen Regionen Landesrahmenverträge als wichtige Voraussetzung für eine angemessene Vergütung gemeindepsychiatrischer Leistungen. Insbesondere die Finanzierung von niedrigschwelliger Sozialraumarbeit bleibe auf der Strecke. Ein weiterer Kritikpunkt: »Individuelle Herausforderungen und Bedarfe der Betroffenen sind oft nur schwer im holzschnittartigen Bedarfsermittlung abzubilden«, so Seydholdt. Zudem stehe die Praxis, zuerst Budgets und dann die Leistungen festzulegen, im Widerspruch zur Orientierung an den Bedarfen der Betroffenen.

Bei der Umsetzung des BTHG auf Landesebene hängt es an den jeweiligen Rahmenverträgen und bedeutet einen Fortschritt in unterschiedlicher Geschwindigkeit. Celia Wenk-Wolff, Leiterin des Referats Gesundheit und Psychiatrie des Bayerischen Bezirketags sprach sich dafür aus, die Bestimmungen der Landesrahmenverträge zügig in der Praxis einzuführen, auszuprobieren und wo nötig nachjustieren.

Gabriele Sauermann, Referentin für Teilhabe behinderter Kinder und Jugendlicher sowie Suchthilfe beim Paritätischen Gesamtverband, sprach die Teilhabebarrieren an. Für Menschen mit psychischen Erkrankungen gebe es eine große »Barrierenvielfalt«. Hindernisse für Betroffene seien Stigmatisierungen, Vorurteile und die Unwissenheit bei Behörden und Profis. Im schlimmsten Fall – und nicht selten – führe das dazu, dass Betroffene nicht an Leistungen herankommen, die ihnen zustehen. Der Paritätische Gesamtverband plant aktuell ein Projekt zur Bestimmung der Teilhabebarrieren für Menschen mit psychischen Erkrankungen – dies sei dringend notwendig, denn es fehle aktuell noch an klaren Definitionen und Maßnahmen dagegen.

»Fürsorge ja, aber nicht als Fremdbestimmung«

Dr. Elke Prestin, Referentin beim Dachverband Gemeindepsychiatrie und Vorstandsmitglied beim Bundesnetzwerk Selbsthilfe seelische Gesundheit (NetzG) lobte den Blickwechsel, den die UN-Behindertenrechtskonvention beim Verständnis von Behinderung gebracht habe – und den auch das BTHG präge. »Unser Anspruch ist nicht mehr nur Nichtdiskriminierung, sondern Teilhabe – und damit Selbstbestimmung, Partizipation und Verwirklichungschancen.« Dies stehe aber im Spannungsfeld zur Fürsorge für Betroffene, weil Menschen mit psychischen Erkrankungen ihre Rechte nicht immer selbstbewusst vertreten können. »Das bedeutet für mich: Fürsorge ja, aber nicht als Fremdbestimmung.« Gerade bei der Bedarfsermittlung sei die Mitwirkung der Selbstvertretung Betroffener von zentraler Bedeutung. Gleichzeitig sei die Selbsthilfe im Aushandlungsprozess mit den Profis strukturell benachteiligt. Deshalb müssten Strukturen etabliert und finanziert werden, die die Mitwirkung von Menschen mit psychischen Erkrankungen und gleichzeitig eine an den Bedarfen der Betroffenen orientierte Wirkungs- und Wirksamkeitsmessung sicherstellen.

Das Fazit der Tagung: Die Zielsetzung des BTHG ist richtig, aber es gibt Weiterentwicklungsbedarfe, um die Bedürfnisse der Betroffenen und der Angehörigen den Stellenwert zu geben, die Ihnen zukommen muss, wenn das Ziel der Teilhabe erfüllt werden soll. Dazu müsse die Selbsthilfe gestärkt und werden verbindliche Standards bei der Erstellung von Hilfeplänen und der Definition (und dem Abbau) von Barrieren gelten. Weiterhin gilt es, mit allen Akteuren – Selbsthilfe, Politik, Wohlfahrt und gemeindepsychiatrischen Leistungsanbieter im Dialog zu bleiben.

Donnerstag, 3. November 2022

Begrüßung und Grußworte

Nils Greve Vorstandsvorsitzender Dachverband Gemeindepsychiatrie e.V., Köln

Helmut Roth Leiter Referat 22 (Sozialplanung, Koordination und Fachdienste) Bezirk Oberbayern, München

Verena Dietl Bürgermeisterin der Landeshauptstadt München, München

Prof. Dr. Peter Brieger Ärztlicher Direktor Isar-Amper-Klinikum Region München; Stv. Vorsitzender Aktion Psychisch Kranke e.V., Bonn

Vorträge

Das Bundesteilhabegesetz aus Sicht der politischen Akteure

Dr. Rolf Schmachtenberg Beamteter Staatssekretär im Bundesministerium für Arbeit und Soziales, Berlin

Zwischen Wunsch und Wirklichkeit: Gemeindepsychiatrische Ziele und Umsetzungsrealität des BTHG in den Bundesländern

Claudia Seydholdt Vorständin Die Kette e.V.; Vorsitzende Arbeitsgemeinschaft Gemeindepsychiatrie Rheinland e.V.; Schatzmeisterin Dachverband Gemeindepsychiatrie e.V., Bergisch Gladbach
c.seydholdt(at)die-kette.de

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Das Bundesteilhabegesetz: Barrierefreiheit für seelisch erkrankte Menschen? Die Sicht der Wohlfahrtsverbände

Gabriele Sauermann Referentin für Teilhabe behinderter Kinder und Jugendlicher sowie Suchthilfe, Paritätischer Gesamtverband, Berlin
gabriele.sauermann(at)paritaet.org

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Das Bundesteilhabegesetz: Ideelle Grundlagen und Herausforderungen – Ein Impuls aus der Perspektive von Menschen mit psychischen Erkrankungen

Dr. Elke Prestin Referentin Dachverband Gemeindepsychiatrie e.V., Köln
prestin(at)psychiatrie.de

Die Präsentation ist auf Anfrage bei Dr. Elke Prestin erhältlich.

Hybride Podiumsdiskussion: Sofa und Bildschirm

Wie bewerten wir den Umsetzungsstand BTHG für psychisch erkrankte Menschen? Was soll in den nächsten zwei Jahren passieren?

Corinna Rüffer MdB (Bündnis 90/Die Grünen), Berichterstatterin für Behindertenpolitik

Joachim Speicher Leiter der Abteilung 64 – Soziales des Ministeriums für Arbeit, Soziales, Transformation und Digitalisierung von Rheinland-Pfalz

Celia Wenk-Wolff Leiterin des Referats Gesundheit und Psychiatrie des Bayerischen Bezirketags, München

Dr. Elke Prestin Referentin Dachverband Gemeindepsychiatrie e.V., Köln

Moderation: Mirko Bialas Diplomsoziologe; Geschäftsführer der Münchner Psychiatrieerfahrenen (MüPE) e. V., München

Workshop 1: Komplexleistung in der Praxis: Das Beispiel der Sozialpsychiatrischen Zentren im Rheinland

Carsten Frese Geschäftsführer Verbund für Psychosoziale Dienstleistungen gGmbH; Vorstand Arbeitsgemeinschaft Gemeindepsychiatrie Rheinland e.V., Langenfeld
carsten.frese(at)vpd-mettmann.de

Dr. Thomas Hummelsheim Vorsitzender Psychosozialer Trägerverein Solingen e.V.; Vorstand Arbeitsgemeinschaft Gemeindepsychiatrie Rheinland e.V., Solingen
thomas.hummelsheim(at)ptv-solingen.de

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Workshop 2: Recht auf digitale Teilhabe: Förderung digitaler Kompetenz als Bestandteil der Eingliederungshilfe

Maike Eyring Die Kette e.V., Fachgebietsleiterin Wohnen Süd, Bergisch Gladbach

Tanja Tücking Onlineberaterin (DGOB), Referentin Vincentro gGmbH, München
t.tuecking(at)vincentro-muenchen.de

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Workshop 3: Realitätscheck Soziale Teilhabe – Pilotumstellungen im Rheinland

Birgit Richterich Geschäftsführerin Psychiatrische Hilfsgemeinschaft Duisburg gGmbH, Duisburg
birgit.richterich(at)phg-du.de

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Dr. Dieter Schartmann LVR-Fachbereichsleiter Eingliederungshilfe II, Köln
dieter.schartmann(at)lvr.de

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Workshop 4: Sicherung der Barrierefreiheit durch Qualitätsstandards

Frank Hammerschmidt EX-IN-Genesungsbegleiter, Landesverband Sozialpsychiatrie Mecklenburg-Vorpommern e.V., Rostock

Dr. Kristin Pomowski Landeskoordination Kinder psychisch und/oder suchtbelasteter Familien, Landesverband Sozialpsychiatrie Mecklenburg-Vorpommern e.V., Vorstandsvorsitzende EX-IN Mecklenburg-Vorpommern e.V., Rostock

Gabriele Sauermann Referentin für Teilhabe behinderter Kinder und Jugendlicher sowie Suchthilfe, Paritätischer Gesamtverband, Berlin

Workshop 5: Neue Instrumente zur Teilhabe am Arbeitsmarkt aus der Praxis: Budget für Arbeit, RehaPro, TAM-Stellen, ALA-Leistungen

Stefanie Fella Leiterin Sozialdienst AWO München ConceptLiving GmbH, München

Matthias Hofmann Projektleiter SEB Leipzig, Leipzig
hofmann(at)seb-leipzig.de

Holger Steckermaier Geschäftsführer gemeinnützige GmbH des Projektevereins / Perspektive GmbH; Vorstandsmitglied Dachverband Gemeindepsychiatrie e.V., München
h.steckermaier(at)projekteverein.de

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Workshop 6: Andere Wege, neue Chancen: §132 SGB IX, das Modell 365° und die Kooperation mit EX-IN Deutschland

Catharina Flader Vorstandsmitglied EX-IN Deutschland, EX-IN Genesungsbegleiterin (SRH RPK), EX-IN Trainerin, Norden
exin.flader(at)web.de

Birgit Fuchs Leiterin Betreuen-Fördern-Wohnen, Pfalzklinikum für Psychiatrie und Neurologie AdöR; Vorstandsmitglied Dachverband Gemeindepsychiatrie e.V., Köln
birgit.fuchs(at)pfalzklinikum.de

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Freitag, 4. November 2022

Workshop 1: Transitionspsychiatrie: Die jungen Erwachsenen – Schnittstelle SGB IX, SGB VIII

Florian Dockhorn Bereichsleiter Therapeutische Wohngemeinschaft für junge Erwachsene Vincentro gGmbH, München
f.dockhorn(at)vincentro-muenchen.de

Susanne Hummel Geschäftsführerin Vincentro gGmbH München; Prokuristin gGmbH des Projektevereins, München

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Workshop 2: Bedarfsfeststellung, Eingliederungshilfe und Pflege am Beispiel Autismus- Spektrum-Störung (ASS)

Matthias Prommersberger M.Sc. ANP wissenschaftlicher Mitarbeiter Hochschule München, München
mprommer(at)hm.edu

Prof. Dr. phil. Markus Witzmann Hochschule München, Geschäftsführer autkom Oberbayern, München
markus.witzmann(at)hm.edu 

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Workshop 3: Peerarbeit in der Familienhilfe – Das Mit-Elternkonzept

Gyöngyvér Sielaff Diplom-Pädagogin/-Psychologin; Psychologische Psychotherapeutin, Hamburg

 

Workshop 4: Psychisch erkrankte Menschen mit herausforderndem Verhalten

Birgit Fuchs Leiterin Betreuen-Fördern-Wohnen, Pfalzklinikum für Psychiatrie und Neurologie AdöR; Vorstandsmitglied Dachverband Gemeindepsychiatrie e.V., Köln
birgit.fuchs(at)pfalzklinikum.de

Frank Schäfer Stv. Leiter Betreuen-Fördern-Wohnen, Pfalzklinikum für Psychiatrie und Neurologie AdöR, Klingenmünster
frank.schaefer(at)pfalzklinikum.de

Workshop 5: Verfahren zur Bedarfsfeststellung: Anspruch und Praxis

Ina Bogisch Bereichsleiterin Sozialtherapeutische Tagesstätte, Psychosozialer Trägerverein Sachsen e.V., Dresden
bogisch(at)ptv-sachsen.de

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Maike Eyring Die Kette e.V., Fachgebietsleiterin Wohnen Süd, Bergisch Gladbach

Workshop 6: Wirksamkeitsmessung in der Eingliederungshilfe

Karsten Giertz Geschäftsführer Landesverband Sozialpsychiatrie Mecklenburg-Vorpommern e.V., Rostock
karsten.giertz(at)sozialpsychiatrie-mv.de

Die Präsentation ist auf Anfrage bei Karsten Giertz erhältlich.

Martina Heland-Graef Vorstandsmitglied Dachverband Gemeindepsychiatrie e.V.; Vorstandsmitglied Bayerischer Landesverband Psychiatrie-Erfahrener e.V., Neustadt bei Coburg

Nicole Heyden EX-IN Mecklenburg-Vorpommern e.V., Rostock

 

Vortrag

WHO-Leitlinie zur psychosozialen Versorgung: Aussagen zur Teilhabe – Umsetzungsstand und nächste Schritte

Dr. Martin Zinkler Chefarzt Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie Gesundheit Nord gGmbH, Bremen
martin.zinkler(at)gesundheitnord.de

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Diskussion und Ausblick: Was nimmt man mit?

Nils Greve Vorstandsvorsitzender Dachverband Gemeindepsychiatrie e.V., Köln

Claudia Seydholdt Vorständin Die Kette e.V.; Vorsitzende Arbeitsgemeinschaft Gemeindepsychiatrie Rheinland e.V.; Schatzmeisterin Dachverband Gemeindepsychiatrie e.V., Bergisch Gladbach

Moderation der Tagung

Birgit Görres Geschäftsführerin Dachverband Gemeindepsychiatrie e.V., Köln

 

IT-Dienstleistung

Mario Forth Dipl. Audio Engineer, BA Recording Arts Honours
sound4people(at)extraschnell.de