Buchbesprechung von Birgit Görres
Waltraut Matern, eine der erste Fürsorgerinnen in einer Klinik in Westfalen, war eine der Pionierinnen psychiatrischer Sozialarbeit. Ihre beruflichen und persönlichen Erfahrungen bei der Implementierung und Professionalisierung sozialarbeiterischer Arbeit in der westfälischen Anstaltspsychiatrie und darüber hinaus ist Thema ihres sehr lesenswerten Buches.
In ihm werden wichtige Etappen der Psychiatriegeschichte von der Fürsorge zu den personenorientierten unterstützenden Hilfen – aber auch persönliche emanzipatorische Entwicklungen – sehr anschaulich beschrieben, unterlegt mit Fotos und Zeitdokumenten. Dabei werden Handlungen von –inzwischen für psychiatrische Praktiker selbstverständlichen – Reflexionen begleitet.
In einer Zeit, in der die Behandlung psychisch erkrankter Menschen fast ausschließlich in entlegenen »Landesheilanstalten« stattfand und von den Patienten statt eigener Initiative Anpassung und Unterordnung verlangt wurde, setzen die wenigen Fürsorger wichtige Impulse. In der Reflexion dieser Zeit beschreibt Waltraut Matern ihre Motivation und sozialarbeiterisches Handlungskonzept in inklusiver Weise: »Nicht nur für die Kranken, sondern auch mit den Kranken wollte ich arbeiten, nicht über sie bestimmen, sondern ihnen bei ihrer Problembewältigung helfen und ihnen Raum für eigene Entscheidungen geben, ganzheitliche Hilfen anbieten, ihre Kommunikation und Selbstbestimmung fördern, Familienkontakte wiederherstellen sowie Kontakte zu Verbänden und Behörden außerhalb.« Diese Haltung wurde von ihr auch in die Arbeit an der Psychiatrieenquete wie bei der Gründung eines psychiatrischen Hilfsvereins in Marsberg eingebracht.
Was dieses Buch zu einem spannenden Zeitdokument nicht nur für Sozialarbeiter macht, sind die unterschiedlichsten Facetten von persönlicher emanzipatorischer Erfahrung, von Konzept- und Methodenentwicklung klinischer Sozialarbeit. Es ist ein Zeitdokument, das ein aus der psychiatrischen Anstalt herauswachsenden Engagements für eine bessere ambulante Versorgung lebendig werden lässt.
Das Buch "Sozialarbeit in der Psychiatrie. Erinnerungen an den Reformaufbruch in Westfalen (1960 – 1980)" von Waltraud Matern ist 2016 im Ardey-Verlag, Münster erschienen.
161 Seiten, 16,90 Euro, ISBN: 978-387023384-6