Seit seiner Gründung versteht sich der Dachverband Gemeindepsychiatrie e.V. als der Zusammenschluss gemeindepsychiatrischer Trägerorganisationen, die ambulante und netzwerkbasierte Hilfen für psychisch erkrankte Menschen und ihre Angehörigen anbieten. Zu seinen derzeit 213 Mitgliedern mit rund 18.000 beschäftigten Personen zählen neben professionellen Anbietern in unterschiedlichsten Rechtsformen auch die sozialraumorientierten Unterstützungsangebote bürgerschaftlich engagierter Menschen sowie Organisationen der Selbsthilfe Psychiatrie-Erfahrener und Angehöriger.
Nahezu 400.000 Menschen werden in der Bundesrepublik jährlich in psychiatrischen Kliniken und Abteilungen aufgenommen. Die meisten von ihnen können nach wenigen Wochen wieder entlassen werden - dies darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, daß bei etlichen die psychische Erkrankung einen längeren, chronischen Verlauf nimmt. An einer chronisch verlaufenden psychischen Erkrankung zu leiden, bedeutete vor nicht allzulanger Zeit noch mit großer Wahrscheinlichkeit, für viele Jahre, teilweise jahrzehntelang in Anstalten oder Heimen untergebracht zu werden. Heute weiß man, daß auch chronisch psychisch erkrankte Menschen in der Gemeinde leben können und sollen, nimmt man den Auftrag der UN-Behindertenrechtskonvention ernst. Und man weiß auch, dass selbst bei einem langjährigen Krankheitsverlauf noch deutliche Besserungen bis hin zu Heilungen eintreten können. Für diesen Weg benötigen psychisch kranke Menschen außer therapeutischer Hilfe auch Unterstützung bei der Bewältigung des Alltags. Denn: Einsamkeit, Arbeitslosigkeit sowie Vorurteile in der Bevölkerung und damit seelische und materielle Not belasten das Leben (ehemaliger) Psychiatriepatienten trotz aller Reformbemühungen in erschreckender Weise.
Zu den in den vergangen Jahrzehnten seit der Psychiatrie-Enquete erreichten Verbesserungen haben die im Dachverband zusammengeschlossenen Bürgerinitiativen, Gruppen und Hilfsvereine einen wichtigen Beitrag geleistet. Als sich diese Gruppierungen 1976 zu einem bundesweiten Verband zusammenschlossen, galt es, Pionierarbeit beim Aufbau neuer Hilfeformen zu leisten. Die Mitgliedsorganisationen sind in den einzelnen Städten und Gemeinden aktiv, denn psychisch Kranke sollen mitten unter uns leben können. Die Vereine bieten hierzu ein breites Spektrum an Hilfen: betreute Wohnformen, Freizeitangebote, Kontaktzentren und begleitende Hilfen bis hin zu Beschäftigungsmöglichkeiten und Selbsthilfefirmen. In den neuen Bundesländern entstehen seit der Wiedervereinigung in zunehmendem Maße örtliche Initiativen, die ebenfalls diesen Weg mit Erfolg beschreiten.
Der Dachverband Gemeindepsychiatrie setzt sich für eine Versorgung und Unterstützung psychisch erkrankter und seelisch behinderter Menschen ein, die die Bedürfnisse und Ansprüche der Betroffenen in den Mittelpunkt stellt und seelische Krisen nicht allein als medizinische, sondern als gesamtgesellschaftliche Herausforderung begreift. Ziel der Gemeindepsychiatrie ist es daher, Menschen vorrangig ambulant in ihrem Sozialraum zu unterstützen sowie Teilhabe und Mitbestimmung bei der Behandlung, im Gemeindeleben, beim Wohnen und auf dem Arbeitsmarkt zu ermöglichen.
Der Dachverband Gemeindepsychiatrie wurde 1976 von Vertretern bürgerschaftlicher Hilfsvereine in der ersten Phase der deutschen Psychiatriereform ursprünglich als „Dachverband psychosozialer Hilfsvereinigungen in der BRD e.V." gegründet. Im Jahr 2003 erfolgte seine Namensänderung. Die Gemeindepsychiatrie entwickelte sich als Gegenbewegung zur klinischen Psychiatrie im Deutschland. Als Initialzündung gilt die Psychiatrie-Enquete aus dem Jahr 1975, in der die damaligen, oft menschenunwürdigen Zustände in den Großkliniken offengelegt wurden. Im Verband sind darüber hinaus sechs gemeindepsychiatrische Landesverbände organisiert.
Der Dachverband Gemeindepsychiatrie e.V. und seine Mitglieder setzen sich für Inklusion, Empowerment, Entstigmatisierung und Vernetzung auf Augenhöhe ein und arbeiten trialogisch, ambulant und leitliniengerecht. Die im Dachverband Gemeindepsychiatrie e.V. zusammengeschlossenen Organisationen arbeiten interdisziplinär und multiprofessionell. Sie vertreten keine berufsständischen Interessen und sind unabhängig von industriellem Sponsoring.
Der Dachverband Gemeindepsychiatrie e.V. vertritt als Zusammenschluss gemeindepsychiatrischer Trägerorganisationen sowie freier Vereine und Initiativen von Bürgerhelfern, Psychiatrie-Erfahrenen und Angehörigen auf Bundesebene die Interessen seiner Mitglieder. Er bündelt ihre Kräfte und fördert die Weiterentwicklung der Versorgungsstrukturen für psychisch erkrankte und seelisch behinderte Menschen in Deutschland. Er unterstützt den offenen Informations- und Wissenstransfer zwischen seinen Mitgliedsorganisationen durch Projekte, Weiterbildungen, Tagungen und Veröffentlichungen. Er fördert die fachliche, organisatorische und betriebswirtschaftliche Entwicklung seiner Mitgliedsorganisationen und berät sie bei der Konzeptentwicklung, beim Qualitätsmanagement und der Öffentlichkeitsarbeit.
Er engagiert sich darüber hinaus in sozialpolitischen Bündnissen und Initiativen und ist mit zahlreichen sozial- und gesundheitspolitischen Akteuren vernetzt. Dazu gehört das Bundesministerium für Gesundheit, Krankenkassen, psychiatrie-bezogene Initiativen (z.B. Aktionbündnis Seelische Gesundheit; Kontaktgespräch Psychiatrie; Aktion Psychisch Kranke), Fach- und Berufsverbände (z.B. Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde; Bundespsychotherapeutenkammer; Berufsverband für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie; Bundesverband der Berufsbetreuer/innen; AFET Bundesverband für Erziehungshilfe) und Verbände der Betroffenenselbsthilfe (z.B. Bundesverband Psychiatrie-Erfahrener; Bundesverband der Angehörigen psychisch Kranker).
Zusammen mit anderen sozialpsychiatrischen Verbänden sowie dem Psychiatrie-Verlag betreibt der Dachverband die Website PsychiatrieNetz unter www.psychiatrie.de. Der Dachverband Gemeindepsychiatrie ist politisch auf Länder- und Bundesebene an Beratungen zu psychiatrie-relevanten Themen vertreten, wo er sich für innovative gesellschaftliche Entwicklungen zum Wohle psychisch erkrankter Menschen sowie der in der Gemeindepsychiatrie tätigen Mitarbeiter einsetzt. Auf europäischer Ebene ist er Mitglied beim Verband Mental Health Europe (MHE) und leitet dort die deutsche Sektion.